Überprüfung der Streitkräfte-Umgestaltung der NATO

  • 01 Jan. 2005 - 31 March 2005
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  • Last updated 04-Nov-2008 02:12

Anthony H. Cordesman befasst sich mit den Gründen für die Umgestaltung der Streitkräfte auf beiden Seiten des Atlantiks und mit den bisherigen Ergebnissen.

Luftwaffe: Es erwies sich, dass Angriffshubschrauber problemlos modifiziert und einem breiten Spektrum von Aufgaben im Rahmen der Terrorismusabwehr und der Bekämpfung von Aufständen angepasst werden konnten.

Seit dem ersten Golfkrieg sinddie Vereinigten Staaten stets darum bemüht gewesen, dieStreitkräfte der NATO mit Hilfe von Spitzentechnologien zuhochmodernen konventionellen Streitkräften mit möglichst vieleninteroperablen Elementen umzugestalten. Zugleich hat die NATOversucht, weitere Fähigkeiten für Missionen außerhalb desBündnisgebiets und für die „Machtprojektion“ zu entwickeln, undviele dieser Fähigkeiten orientierten sich an denen der VereinigtenStaaten. Die Reaktionskräfte der NATO (NATO Response Force – NRF)sind ein Beispiel für diese Bestrebungen. Allgemeiner gesagt kommtwohl in beiden Fällen die Auffassung zum Ausdruck, dass die NATOauf der Grundlage von neuen Missionen und den entsprechenden neuenFähigkeiten eine neue Daseinsberechtigung formulieren muss, die derZeit nach dem Ende des Kalten Krieges gerecht wird.

Die NATO hat in diesem Zusammenhang einige Fortschritte gemacht,aber häufig handelt es sich eher um kosmetische als um tatsächlicheVerbesserungen. Die Arbeit mit dem Aufbau von Institutionen hatnichts mit dem Umbau von Streitkräften zu tun. Die zuständigenMinister mögen sich zwar auf Prioritäten bezüglich derModernisierung der Streitkräfte und auf den Aufbau von Fähigkeiteneinigen, aber die meisten nationalen Verteidigungspläne und-haushalte lassen nur langsame Fortschritte, ein anhaltendesInteroperabilitätsdefizit sowie die Unfähigkeit erkennen, mehr alsnur einen kleinen Teil der nationalen Streitkräfte weit außerhalbder jeweiligen Landesgrenzen zu dislozieren und derenDurchhaltefähigkeit zu gewährleisten. Die europäischen NATO-Staatenhaben insgesamt einen Verteidigungshaushalt von mehr als 220 Mrd.Dollar, und sie haben etwa 2,2 Millionen aktive Soldaten sowie 2,6Millionen Reservisten. Praktisch alle Verteidigungsexperten stimmenjedoch in der Ansicht überein, dass die meistenBeschaffungsprojekte kaum vernünftig koordiniert werden, kaum aufInteroperabilität ausgerichtet sind und noch nicht einmal in dieNähe dessen kommen, was die Vereinigten Staaten im Hinblick auf ihrtechnologisches Niveau und ihre Gefechtsfähigkeit erreicht haben.Allgemeiner gesagt ist nur ein winziger Bruchteil der personellenGesamtstärke der NATO außerhalb des Bündnisgebiets einsetzbar, undein Großteil davon wäre nur wirklich verwendbar, wenn die Europäergegeneinander Krieg führen würden.

Zugleich hat sich zwischen der Europäischen Union und der NATO defacto ein Konkurrenzkampf hinsichtlich der Frage entwickelt, werdie europäischen Verteidigungsfähigkeiten und insbesondere dieFähigkeiten bezüglich schneller Krisenreaktionen und der Entsendungvon Streitkräften planen und lenken sollte. Mit verschiedenenAbmachungen hat man die diesbezüglichen Meinungsverschiedenheitenetwas vertuscht, aber die bündnisinternen Spannungen aufgrund desIrakkrieges haben zu einer weiteren Verschlechterung der Lagegeführt. Die Spannungen zwischen Frankreich und den VereinigtenStaaten haben, obwohl der amerikanische Präsident George W. BushEuropa vor kurzem einen Wiedergutmachungsbesuch abgestattet hat,tiefe Gräben hinterlassen, und so bedeutende Persönlichkeiten wieBundeskanzler Gerhard Schröder haben erklärt, dass die NATO nichtmehr „der primäre Ort“ sei, an dem die transatlantischen Partnerzusammenkämen, um ihre Strategien zu erörtern und zu koordinieren.In der Realität scheint die NATO nun ein Bündnis zu sein, in demsich die Mitgliedstaaten sehr viel öfter als Reaktion auf bestimmteKrisen und Notsituationen auf Ad-hoc-Basis zusammenschließen, alsdass sie generell geschlossen vorgehen.

Bevor man beginnt, das Ende der NATO zu beklagen oder ihreUmgestaltungsbemühungen für gescheitert zu erklären, ist jedochmehreren Faktoren Rechnung zu tragen. Erstens ist es keineschlechte Sache – und auch kein Verzicht auf die Wahrungeuropäischer Sicherheitsinteressen –, wenn sich Europa in ersterLinie auf seine Integration und Stabilität konzentriert. Mehrerevon Konflikten geprägte Jahrhunderte haben uns vor Augen geführt,wie wichtig es ist, dass Europa diesen Prozess des Wandels zumAbschluss führt. Zwei Weltkriege haben gezeigt, dass dies zudemebenso entscheidend für die strategischen Interessen Kanadas undder Vereinigten Staaten wie für die Europas ist. Die NATO brauchtnicht als Ersatz für den Kalten Krieg eine das Bündnis einigendeneue Mission außerhalb Europas; sie muss sich allerdings daraufbesinnen, dass der Zweck des transatlantischen Bündnisses in dertransatlantischen Sicherheit besteht, und in dieser Hinsicht istder Westen außerordentlich erfolgreich.

Zweitens ist es ein gar nicht so neues Phänomen, dass sich dieVereinigten Staaten auf Sicherheitsmissionen außerhalb Europaskonzentrieren und dass die transatlantische Zusammenarbeit eher aufeiner À-la-carte-Zusammensetzung von Streitkräften und aufZusammenschlüssen der zum Eingreifen gewillten Staaten als aufförmlichen Abmachungen mit der NATO beruht. Die NATO hat ihreRelevanz in Afghanistan und auf dem Balkan bewiesen, aber praktischalle Operationen außerhalb des NATO-Gebiets, an denen in denletzten fünfzig Jahren sowohl amerikanische als auch europäischeStreitkräfte beteiligt waren, stützten sich auf ad hoczusammengestellte Streitkräftekontingente der Vereinigten Staatenund einiger weniger europäischer Staaten. Zudem zeigte eine Studie,die nach dem Golfkrieg vom Analysezentrum für Seestreitkräfte(Center for Naval Analysis) durchgeführt wurde, dass dieVereinigten Staaten in der Zeit zwischen der Gründung der NATO unddem Ende des Kalten Krieges mehr als 240 Mal Streitkräfte zurMachtprojektion außerhalb des Bündnisgebiets eingesetzt hatten, undbei der Liste dieser Fälle waren mehr als drei Viertel deramerikanischen Maßnahmen ohne jede Beteiligung der Europäererfolgt.

Eine NATO, in der sich Europa auf Europa konzentriert und sich dieVereinigten Staaten – von Fall zu Fall mit Unterstützung einzelnereuropäischer Staaten – auf die übrigen Regionen der Weltkonzentrieren, ist vielleicht wirklich die einzige Möglichkeit, diesich dem Westen in den meisten Krisensituationen außerhalb desBündnisgebiets bietet. Die NATO als Bündnis führt nicht zugemeinsamen Interessen und Ansichten. In vielen Fällen ist dieForderung nach einem Konsens aller Bündnispartner ein Rezept fürHandlungsunfähigkeit, und eine bündnisweite Umgestaltung derStreitkräfte wird höchstens in symbolischem Umfang stattfinden,weil viele – wenn nicht sogar die meisten – europäischen Staatenkein eindeutiges Interesse daran haben, sich an diesen Bemühungenzu beteiligen und die Kosten zu tragen.

Auf jeden Fall ist als Erfolg zu bezeichnen, dass die NATO alsgemeinsames Sicherheitsforum äußerst nützlich ist; siegewährleistet ein angemessenes Ausmaß an Dialog und Zusammenarbeitin allen Fällen, in denen die Zusammenarbeit sowohl als nötig alsauch als finanzierbar betrachtet wird. In der „Spezialisierung“Europas und der Vereinigten Staaten kommt auch die Tatsache zumAusdruck, dass zwei der wichtigsten sicherheitsrelevantenPrioritäten der Vereinigten Staaten außerhalb Europas liegen: dieSicherheit Koreas und die Stabilität der Formosa-Straße. In beidenFällen handelt es sich um militärische Schauplätze, auf denenEuropa höchstens eine Nebenrolle spielen kann. Selbst in derGolfregion und in Zentralasien ist das Vereinigte Königreich nunder einzige europäische Staat, der überhaupt eine realistischeChance hat, Truppen in ernstzunehmendem Umfang außerhalb desBündnisgebiets zu stationieren und deren Durchhaltefähigkeit zugewährleisten.

Drittens ändern sich ohnehin schon die Prioritäten für dieUmgestaltung der Streitkräfte. Selbst die „Reichen“ habenHaushaltsprobleme, und das Erfordernis der Kostendämpfung erweistsich für die Vereinigten Staaten trotz des enormen amerikanischenVorsprungs hinsichtlich der militärischen Gesamtausgaben als einebenso ernstes Thema wie für Europa. Die Vereinigten Staaten habenfeststellen müssen, dass sie viele der Programme, die sieursprünglich in ihre „Revolution auf dem militärischen Sektor“einbeziehen wollten, nicht finanzieren können. Die Luftstreitkräfteder Vereinigten Staaten sind mit einem unerschwinglichenBeschaffungsprogramm für Kampfflugzeuge konfrontiert. Dieamerikanische Marineinfanterie ist finanziell durch dasOsprey-Programm gebunden, das auf die Entwicklung eines Flugzeugsmit besserer Verlegefähigkeit abzielt, und steht hinsichtlichzahlreicher anderer Bereiche der Modernisierung der Streitkräftevor ernsten finanziellen Engpässen. Die Landstreitkräfte derVereinigten Staaten mussten die Beschaffung ihrer neuen Generationvon Fahrzeugen mit modernsten Kampfsystemen um mindestens zehnJahre aussetzen, und bei den amerikanischen Seestreitkräftenbesteht laut praktisch übereinstimmender Meinung aller Experteninnerhalb und außerhalb der Marine eine riesige Kluft zwischen denSchiffbauerfordernissen und dem, was man sich tatsächlich leistenkann.

Die Vereinigten Staaten sind mit den gleichen Rahmenbedingungenkonfrontiert wie alle anderen NATO-Mitglieder. Die Haushalte könnennicht den Prioritäten des Streitkräfteumbaus angepasst werden,sondern die Umgestaltung muss sich an den Haushalten ausrichten. Dakeine ebenbürtige konventionelle Bedrohung gegeben ist, lautet dasHauptkriterium für die Umgestaltung der Streitkräfte nunFinanzierbarkeit.

Viertens ist es inzwischen mehr als deutlich, dass sich auch dieAufgaben und die damit verbundenen Erfordernisse ändern. In Asienund im Nahen und Mittleren Osten bestehen nach wie vor bedeutendekonventionelle Gefahren, aber die Vereinigten Staaten haben imMandat für ihre alle vier Jahre anstehende Verteidigungsüberprüfunganerkannt, dass derartige „traditionelle Bedrohungen“ nur einenTeil des Problems darstellen. Sie entfernen sich von derKonzentration auf konventionelle Streitkräfte, die mit hochmodernerTechnologie ausgestattet sind, und bewegen sich in Richtung aufeine „Vierermatrix“, in der unerwartete Bedrohungen, Störungen undKatastrophen als ebenso wichtig betrachtet werden. Die Lehren ausdem 11. September, aus Afghanistan und aus Irak wie auch dieMöglichkeit der Proliferation von Seiten Irans und terroristischerGruppierungen haben die Vereinigten Staaten gezwungen, derasymmetrischen Kriegführung, der Bekämpfung von Aufständen,Antiterrormaßnahmen und dem Heimatschutz gleich große Bedeutungbeizumessen. Zudem haben sie die Vereinigten Staaten gezwungen,erneut der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Zusammenarbeitzwischen ihren Behörden zu verbessern, so dass die VereinigtenStaaten nun zivile Komponenten, die nationale Sicherheitsaufgabenübernehmen können, aufbauen und zugleich dem Militär Aufgabenhinsichtlich des Aufbaus von Staatswesen, der Herbeiführung vonFrieden sowie hinsichtlich verschiedener Stabilisierungsoperationenübertragen.

Die Bewältigung von unerwarteten Bedrohungen, Störungen undKatastrophen zählt zu Aufgabengebieten, auf denen Technologien einewichtige Rolle spielen können, wo jedoch kostspielige neueWaffenplattformen, äußerst teure weltraumgestützte Programme undHöchstleistungskampfmittel weit weniger Bedeutung haben. Der Kriegin Irak hat z.B. gezeigt, dass die Qualität der Arbeit in denBereichen Nachrichtendienste, Überwachung und Aufklärung einegrößere Rolle spielt als die Verfügbarkeit modernster Flugzeuge.Der Irakkrieg zeigte, dass eine „Präzisionskriegführung“ weitgehendmit durchaus erschwinglichen Lasersystemen und GPS-gelenkten Bombenmöglich ist.

Zudem wurde dabei klar, dass die bisherigen großenWaffenplattformen nicht nur nichts von ihrem Wert einbüßen, sondernauch neuen Aufgaben angepasst werden können. Systeme wie der PanzerM-1A1 und das gepanzerte Kampffahrzeug Bradley haben nicht nur zumSieg über die konventionellen Streitkräfte Iraks beigetragen,sondern waren danach auch bei der Kriegführung in den Städten undbei der Bewältigung von Aufständen von entscheidender Bedeutung.Ebenso ließen sich Angriffshubschrauber und unbemannteLuftfahrzeuge ohne Probleme einem breiten Spektrum von Aufgaben inden Bereichen Terrorismusabwehr und Bekämpfung von Aufständenanpassen. Die jetzigen Kampfflugzeuge sind für die Bewältigung derBedrohung in Entwicklungsländern ausreichend, und relativ einfachePräzisionswaffen ermöglichen ihnen, landgestütztenLuftabwehrsystemen auszuweichen und zugleich terroristische Zieleund Unruheherde in Städten anzugreifen. Ältere Systeme wieKampfflugzeuge vom Typ A-10 (Warthog) haben sich als so nützlicherwiesen, dass sie durchaus in bedeutendem Umfang modernisiertwerden könnten.

Ein Großteil der Kritik am Streitkräfteumbauder NATO beruht möglicherweise auf falschen strategischen Annahmenund auf falschen Prioritäten,

Noch bedeutender ist der Umstand, dass dieKonflikte in Afghanistan und Irak gezeigt haben, wie wichtig dieQualifikationen des Personals, Geländekenntnisse,zivil-militärische Einheiten und zahlreiche „menschliche“Fähigkeiten sind, die von den Männern und Frauen in Uniform undeben nicht von materiellen Dingen abhängen. Die Terrorismusabwehr,die Bekämpfung von Aufständen, Maßnahmen zur Herbeiführung desFriedens und der Aufbau eines Staatswesens sind Bereiche, die hoheAnforderungen an das Personal und dessen Qualifikationen stellenund in denen die bereits verfügbaren europäischen Streitkräfte indenjenigen Krisensituationen eine entscheidende Rolle spielenkönnen, in denen einige Staaten einen gemeinsamen Handlungsbedarferkennen. Spezialeinheiten, Militärpolizisten, Sprachexperten,zivil-militärische Aktionsgruppen, Experten für „humaneIntelligenz“, Kampfpioniere, Unterstützungseinheiten undTransporthubschrauber sind lediglich einige wenige Beispiele fürdie Umgestaltungsfähigkeiten, die – eher als hochmoderneTechnologien – erforderlich sind.

Die Abwehr und Bekämpfung von Terroranschlägen auf nationalemBoden erfordert auch neue Kombinationen von regulärenStreitkräften, paramilitärischen Einheiten, Justizvollzugspersonalund Krisenreaktionskräften. Hier können zivile Fähigkeitenmindestens so wichtig sein wie militärische, und das vorrangigeZiel einer Verbesserung der Ressourcenlage erfordert eine„Umgestaltung“ in einem sehr viel weiteren Sinne. Experten für dieTerrorismusabwehr und für die Datensicherheit, der Schutz wichtigerInfrastruktureinrichtungen, medizinische Spezialeinrichtungen undKrisenreaktionskräfte wie Feuerwehrleute sind für die nationaleSicherheit ebenso wichtig wie reguläre militärische Einheiten.Hierbei handelt es sich um Bereiche, in denen Europa häufig überein ebenso großes Dispositiv wie die Vereinigten Staaten oder sogarüber ein größeres verfügt und bei denen die transatlantischenPrioritäten und Erfordernisse durchaus weit mehr Übereinstimmungaufweisen können als bei Operationen außerhalb des Bündnisgebietsund bei Maßnahmen der Machprojektion. Führt Terrorismus – wiezahlreiche Experten befürchten – zu einer Kombination vonunerwarteten Bedrohungen und Katastrophen, so könnte dietransatlantische Zusammenarbeit sogar noch wichtiger werden. Dieswiederum könnte bedeuten, dass zahlreiche der gerade ersteingeleiteten Bemühungen der NATO auf Gebieten wie derTerrorismusabwehr modifiziert und verstärkt werden müssten und derNATO hinsichtlich einiger Aspekte des Heimatschutzes eine weitausgrößere Bedeutung beizumessen wäre.

Kurzum beruht möglicherweise ein Großteil der Kritik an denBemühungen der NATO um die Umgestaltung ihrer Streitkräfte auffalschen strategischen Annahmen und auf falschen Prioritäten. Eswird immer transatlantische Meinungsverschiedenheiten geben. Europaund die Vereinigten Staaten werden sich in vielen – wenn nichtsogar in den meisten – Fällen nicht auf einen gemeinsamen Katalogvon NATO-Missionen außerhalb des Bündnisgebiets einigen können. Dieeuropäischen Streitkräfte werden nicht so umgestaltet werden, dasssie das gleiche Niveau an konventioneller Technologie oder anMöglichkeiten der Machtprojektion erreichen wie die VereinigtenStaaten oder wie ihre Minister eigentlich offiziell vereinbarthaben. v Derartige Meinungsverschiedenheiten sind aber kaum etwasNeues, und die einigende und zusammenführende Wirkung des KaltenKrieges ist weitgehend eine Sache mangelhafter Geschichtskenntnisseund falsch verstandener Nostalgie. Die NATO erlebte mehrere„transatlantische Krisen“ im Zusammenhang mit der Einstellungamerikanischer Militärhilfe „nach Punkt 4“ (der AntrittsbotschaftHarry Trumans), wegen der Weigerung der Vereinigten Staaten,Operationen in Kolonien außerhalb des Bündnisgebiets zuunterstützen, hinsichtlich der Bemühungen, zu taktischen nuklearenOptionen überzugehen und dann wieder konventionelle Optionenherzustellen, wegen des teilweisen Austritts De Gaulles aus demBündnis, wegen der amerikanischen Rolle in Vietnam, hinsichtlichder Stationierung der Pershing-II-Raketen und der bodengestütztenMarschflugkörper und auch im Zusammenhang mit der Planung der MBFR-und der KSE-Verhandlungen. Die NATO hat noch keinen einzigenbedeutenden Streitkräfteplan als geschlossene Staatengruppe befolgt– noch nicht einmal einen Plan, der seinerzeit so wichtig war wiedie einheitliche Stationierung von landgestütztenLuftabwehrsystemen für den Abschnitt Europa Mitte.

Misst man die NATO an den Realitäten unserer Welt, so ist sie wohlkaum ein perfekter Erfolg, aber auch durchaus kein Fehlschlag.Zudem verfügt sie über weitaus mehr finanzierbare Optionen für dieArt von Umgestaltung, die in den Mitgliedstaaten wirklich gebrauchtwird, als viele Militärexperten, die sich ausschließlich auftraditionelle Bedrohungen konzentrieren, zu erkennen scheinen. DasBündnis sollte zwar viele seiner jetzigen Prioritäten hinsichtlichdes Streitkräfteumbaus von Grund auf überdenken, aber es stelltunverändert einen bedeutenden Erfolg dar. Was die NATO mit Blickauf die Zukunft wirklich braucht, ist ein bisschen wenigerÜberheblichkeit seitens der Vereinigten Staaten, ein bisschenweniger Gezänk seitens Europas und sehr viel mehr strategischenRealismus hinsichtlich der Frage, was die NATO tun kann und tunsollte.

Anthony H. Cordesman, Inhaber desArleigh-A.-Burke-Lehrstuhls für Strategie am Zentrum fürstrategische und internationale Studien in Washington, war früherAngehöriger des internationalen Stabs der NATO und ist Verfasserdes kürzlich erschienen Buches „The Iraq War: Strategy, Tactics,and Military Lessons“ (Praeger Publishers, Westport, CT,2003).