NATO Speech: EAPC Hombach - Florence, Italy - 25 May 2000 (in German)

des Sonderkoordinators des Stabilitätspakts für Südosteuropa, Bodo Hombach, beim Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat

  • 25 May. 2000 - 01 January 0001
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  • Last updated 03-Nov-2008 18:35

Meine Damen und Herren, Exzellenzen,

Ich danke für die Gelegenheit, heute vor Ihnen sprechen zu dürfen.

Am 10. Juni letzten Jahres wurde mit der UNSR-Resolution 1244 die Militäraktion Kosovo eingestellt. Wie immer nach kriegerischen Konflikten gab es den politischen Schwur: Nie wieder! Am gleichen Tag hat der Stabilitätspakt als umfassender Ansatz präventiver Diplomatie für Südosteuropa ein breites Mandat erhalten. Von der EU, der OSZE, der G 8, der NATO und einer Vielzahl anderer Staaten und Institutionen.

Mit dem Stabilitätspakt hat sich die internationale Gemeinschaft endlich zu einer angemessenen und zukunftsorientierten Antwort auf die großen Fragen verstanden, die das vergangene Jahrzehnt aufgeworfen hat: Wie lassen sich gewaltsame Konflikte, Krieg und Vertreibung in Südosteuropa mit Aussicht auf Erfolg verhindern, wie wirtschaftliche und soziale Mißstände dauerhaft bekämpfen?

Ich habe vielen von Ihnen hier im Raum persönlich zu danken. Sie haben den Stabilitätspakt vor einem Jahr in Köln auf den Weg gebracht. Sie haben sich der dort eingegangenen Verantwortung seither in vorbildlicher Weise gestellt. Stets habe ich bei Ihnen ein offenes Ohr gefunden. Oft genügte ein Telefonanruf, wenn esgalt, Hindernisse kurzfristig aus dem Weg zu räumen, Ressourcen zu mobilisieren oder politische Rivalitäten zu überwinden. Die Erfolge des Stabilitätspakts sind Ihre Erfolge.

Unsere gemeinsame Aufgabe ist gewaltig: die nachhaltige Stabilisierung Südosteuropas. Bitte gewähren Sie dem Stabilitätspakt weiterhin Ihre - das Maß der politischen Routine sprengende - persönliche Unterstützung! Er verdient sie und er braucht sie.

Meine Damen und Herren,

NATO und Euro-Atlantischer Partnerschaftsrat gehören zu den Schlüsselpartnern des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Unsere strategischen Ziele sind identisch, wir ziehen am gleichen Strang: Demokratie und Wohlstand, dauerhafter Friede und Stabilität in der Region, regionale Zusammenarbeit, Integration der Länder Südosteuropas in die euro-atlantischen Institutionen. Unsere gemeinsame Vision ist ein demokratisches, geeintes Europa ohne politische und wirtschaftliche Gräben.

Das Ende der Geschichte war nicht erreicht, wie einige dies vor 10 Jahren vorausgesagt hatten. Viele Menschen in Südosteuropa waren dankbar, daß es die NATO gab, als die Konflikte in Südosteuropa diese These widerlegten. Dankbar, daß sie eingriff und das Morden in Bosnien und Kosovo, die ethnische Vertreibung, den Frontalangriff des Belgrader Regimes gegen die Werte der zivilisierten Welt stoppte und die dauerhafte Destabilisierung der gesamten Region verhinderte.

Die NATO hat auch bewiesen, daß der von anderer Seite propagierte Satz vom "Zusammenprall der Kulturen" nicht den ihm unterstellten Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Die Allianz war da, als es um die Verteidigung der fundamentalen Menschenrechte von Muslimen ging. In Bosnien spät. Rechtzeitig im Kosovo. Sie hat gezeigt, daß sie die universalen menschlichen Werte über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg zu schützen bereit ist.

Diese gewaltsamen Konflikte sind bewältigt. Der Frieden aber muß noch gewonnen werden. Auch hier hat die Allianz zusammen mit der EU, der OSZE, ihren Partnern im EAPR eine wichtige Rolle zu spielen. Neben der OSZE ist die NATO der sicherheitspolitische Hauptakteur in Südosteuropa. Ich danke für die Friedensarbeit, die SFOR und KFOR täglich leisten.

Naturgemäß stützt sich der Stabilitätspakt im Sicherheitsbereich maßgeblich auf die Beiträge von Allianz und EAPR auf dem Gebiet der Stabilitätsprojektion und Krisenprävention in Südosteuropa. Die Aktivitäten im Rahmen der Südosteuropa-Initiative, wie die ad-hoc-Arbeitsgruppe Regionale Zusammenarbeit in Südosteuropa im Rahmen des EAPR, Partnerschaft für den Frieden, der jetzt auch Kroatien angehören wird, der Membership Action Plan stärken die Sicherheit in Südosteuropa - durch regionale Zusammenarbeit, Sicherheitsdialog und die Heranführung der Länder der Region an die euro-atlantischen Strukturen.

Die Ausweitung der EAPR-Aktivitäten auf die Bereiche der Konfliktverhütung und -nachsorge, vor allem in den Bereichen der humanitären Minenräumung und der Vernichtung von Kleinwaffen entsprechen der Schwerpunktsetzung des Stabilitätspakts. Besonders begrüße ich, daß im Rahmen des Stabilitätspakts NATO und andere Partner jetzt auch zusammen an der Entwicklung einer Initiative zugunsten "Disaster Preparedness und Prevention" arbeiten. Die grenzüberschreitende Verhinderung und Bekämpfung ziviler Notstände entspricht einem dringenden Bedürfnis in der Region.

Dies ist ein erster Anfang bei der Neudefinition von Sicherheitsrisiken im weiteren Sinn, dem weitere Schritte folgen müssen. Lassen Sie uns daher alsbald auch einen Dialog darüber beginnen, wie sich die Staaten Südosteuropas in den gesamteuropäischen Prozeß der Streitkräftereform einschalten können. Ich denke, daß der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat einen ausgezeichneten Rahmen darstellt, diese Themen aufzunehmen und zu vertiefen. Ich möchte Sie ausdrücklich ermuntern, diesen Mechanismus zu nutzen, nicht zuletzt deshalb, weil er über die Region Südosteuropas hinausreicht.

Beispielhaft für die neuen Synergien, die der Stabilitätspakt geschaffen, steht das Projekt von NATO und Weltbank zur Umschulung und Eingliederung von demobilisiertem Personal der Streitkräfte Rumäniens und Bulgariens in den zivilen Arbeitsmarkt. Es ist die erste derartige Zusammenarbeit der beiden Institutionen.
Dieses Projekt illustriert gleichzeitig auch die Philosophie des Stabilitätspaktes: Zum einen leistet die Verschlankung und Professionalisierung von Streitkräften einen direkten Beitrag zur Schaffung von Sicherheit. Zum anderen wird durch Schulungsmaßnahmen auch in die wirtschaftliche Zukunft der betroffenen Länder investiert. Wir betrachten dieses Projekt als Modell, das später auf andere Staaten übertragen werden kann.

Meine Damen und Herren,

Natürlich sind die verbleibenden Probleme, insbesondere in Bosnien und Herzegowina wie im Kosovo immens. Die Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien gibt Anlaß zu Besorgnis. Gerade komme ich aus Montenegro, wo ich mir ein Bild von der schwierigen Lage verschafft habe. Der friedliche Übergang zu demokratischen Verhältnissen in Belgrad ist trotz aller unserer Bemühungen bei weitem noch nicht gesichert. Aber wir dürfen nicht ganz Südosteuropa in diesen Topf werfen. Vor allem aber sollten wir nicht immer nur auf das halbleere Glas starren, sondern die positiven Entwicklungen stärker herausstellen, große und kleine, den demokratischen Umschwung in Kroatien ebenso wie die Einigung auf eine Donaubrücke zwischen Rumänien und Bulgarien, und sie als Ansporn für neues Engagement nehmen.

Positive Entwicklungen in Südosteuropa machen in den meisten Fällen keine Schlagzeilen. Jeder Zwischenfall in Pristina, jeder tote Fisch in der Theiss, ist den westlichen Medien im Zweifel eher eine Schlagzeile wert als das Zustandekommen von über 40 Städtepartnerschaften mit konkreten Hilfsprogrammen für oppositionsregierte serbische Städte. Solche Beispiele sind Legion.

Wir müssen diese Kommunikation umdrehen. Wir müssen weg vom Klischee des Balkan als Hort für Konflikte und Instabilität. Hin zu einem Bild von Südosteuropa, das die Gespenster des Balkan bannt, hin zur Vision vom künftigem Boom Town Europas. Wir müssen klar machen, daß die Europäisierung der Region in unserem ureigenen Interesse liegt. Wenn wir scheitern, droht zum wiederholten Male die Balkanisierung der europaischen Politik.

Für uns heißt das zuallererst: Wir müssen selbst vom Erfolg unserer Anstrengungen überzeugt sein. Das gilt für diejenigen, die für die notwendigen Reformen in den Ländern der Region verantwortlich sind, ebenso wie für die internationale Gemeinschaft, die sich zur Unterstützung dieses Prozesses verpflichtet hat. Nur so setzen wir die notwendige positive Dynamik ingang und überzeugen auch die, die zweifelnd abseits stehen, darunter die veröffentlichte Meinung.

Jeder erzielte Fortschritt, im großen wie im kleinen, sollte uns daher Anlaß zur positiven Verstärkung sein. Zu einer Kommunikation nach dem Schneeballeffekt, die lautet: "If we make it there, we can make it anywhere." Das ist meine Devise, für die ich Nachahmer suche. Bitte helfen Sie mit..

Meine Damen und Herren,

Der Stabilitätspakt ist Koordinierungsrahmen. Er hat ein klares politisches Konzept. Seine katalytische und antreibende Wirkung ist bewiesen. Die Befürchtung, es gäbe Doppelarbeit oder gar Rivalität, ist widerlegt. Er ist aus dem Stadium der Grundsatzdebatte längst hinaus. Seine Strukturen sind breit und integrativ. Alle Mitspieler sollen sich einbringen können. Allerdings ändern sich schlechte Gewohnheiten nicht über Nacht. Statt anzupacken und mitzuhelfen, empfinden sich noch einige als Zuschauer und Besserwisser. Altes Denken muß aber auf beiden Seiten überwunden werden.

Früher hatte jedes Land Südosteuropas einen großen Bruder draußen, und die meisten Länder Europas einen bevorzugten Lieblingspartner auf dem Balkan. Das war Ursache für viele Konflikte, manchmal sogar Stellvertreterkriege, oder der Grund dafür, daß Konflikte des Balkans Kriegsursachen in Europa waren. Der Stabilitätspakt ist die politische Antwort auf dieses überkommene Politikkonzept des 19. Jahrhunderts. Er hat eine positive Aufwärtsspirale gegenseitigen Vertrauens und praktischer Schritte in Gang gesetzt. Aber noch sind beide Seiten mißtrauisch bedacht, daß auch die andere Seite liefert, vertrauensbildende Zeichen setzt und die Konditionalität fair ist.

Der Stabilitätspakt hat gleichzeitig entgegen den Unkenrufen vieler Skeptiker schon eine Menge erreicht:

- Ein Jahr, nachdem Bernard Kouchner zu Ihnen gesprochen hat, bleibt das Thema Südosteuropa auf der politischen Tagesordnung. Das ist ein Erfolg und nicht selbstverständlich, denn die Medien sind weitergezogen. Vom Kosovo nach Tschetschenien, dann nach Ost-Timor, und jetzt sind sie in Sierra Leone und am Horn von Afrika.

- Die regionale Zusammenarbeit in Südosteuropa ist so gut wie nie zuvor. Ich erinnere an die Charta über gutnachbarliche Beziehungen, die die Länder im Februar diesen Jahres geschlossen haben. Brücken werden gebaut, im politischen und wörtlichen Sinne. Zunehmend ist die Reformbereitschaft mehr als ein Lippenbekenntnis. In den letzten Wochen gab es nicht nur in Kroatien wichtige Gesetzesinitiativen.

- Die materielle Unterstützung bei der Finanzkonferenz mit 2,4 Mrd. Euro für das Quick-Start-Paket hat jede Erwartung übertroffen. Die Finanzkonditionen, das Verhältnis zwischen Kredit und Zuschuß, sind so gut wie nie zuvor. Der Ansatz des Stabilitätspaktes, bei den Geberländern nicht nach Geld, sondern nach der Unterstützung ausgereifter, von Ländern der Region vorgeschlagener Projekte zu fragen, war erfolgreich.

- Das für den Stabilitätspakt Südosteuropa entwickelte wirtschaftliche Globalkonzept der Weltbank, die EBRD-Strategie für kleinere und mittlere Unternehmen, das regionale Infrastrukturkonzept der EIB sind exzellent. Zusammen mit der von uns entwickelten Investitionscharta und der Anti-Korruptionsinitiative sind sie präzise Richtschnur für eine erfolgversprechende Aufbauarbeit.

- Es herrscht Aufbruchstimmung in Südosteuropa. Die positive Zukunftshoffnung ist eng verknüpft mit dem Wunsch nach der Perspektive einer schrittweisen Integration in die euro-atlantischen Strukturen. Ich werde weiterhin Anwalt der Länder Südosteuropas bei diesem Anliegen sein, ebenso wie ich in diesen Ländern massiv die Forderung nach durchgreifenden Reformen, regionaler Kooperation und individueller Erfüllung der jeweiligen Aufnahmebedingungen vertrete.

- Die EBRD stellt fest, und ich habe gute Beispiele, daß durch den Stabilitätspakt das Interesse der Investoren an Südosteuropa wächst. Anfang letzter Woche habe ich das selbst in Japan gehört. Die Mobilisierung privaten Kapitals und privaten Engagements ist jetzt Arbeitsschwerpunkt des Stabilitätspaktes.

Das sind einige gute Nachrichten, die die Region so dringend braucht. Für die eigene Motivation, aber auch zum Anlocken von Investoren. Der Ball liegt jetzt in unserem Spielfeld. Mein Balkan ist die Bürokratie. Die Aufgabe lautet, dem politischen Wollen auch Taten folgen zu lassen. Die Arbeitsstruktur des Stabilitätspaktes wird deshalb bis auf weiteres keine Projektideen mehr entwickeln, sondern schwerpunktmäßig das Monitoring der beschlossenen Projekte betreiben. Ich werde deutlich sagen, an wem es liegt, wenn es zu unnötigen Verzögerungen kommt.

Das Quick-Start-Paket der Finanzkonferenz, also der Beginn beschlossener und finanzierter Projekte in 12 Monaten, ist eine Kampfansage gegen Langsamkeit und Bürokratie. Beide sind mächtige Gegner. Der Eindruck aber, daß wir uns zwar relativ schnell auf gemeinsame militärische Aktionen einigen können, wenn es sein muß, aber daß der politische Konsens Papier bleibt, wäre verheerend. Ich fordere produktive Ungeduld. Projekte müssen jetzt Baustellen werden. Ich bin deshalb froh, in meinem Kampf auch mächtige Verbündete wie den Hohen Repräsentanten Solana und Komissar Patten zu haben. Dieser bekämpft jetzt energisch den Rückstau bei der Auszahlung der EU-Hilfen. Auch die Außenminister der Stabilitätspaktpartner werde ich noch um die Durchschlagung manches gordischen Knotens bitten müssen.

Wie wir diese große Herausforderung meistern, wird von allen sehr genau beobachtet. Sind wir mit der existierenden Bürokratie und ihren Spielregeln in angemessener Zeit handlungsfähig? Ich höre z.B., die Weltbankprozeduren lassen die schnelle Implementierung des NATO-Umschulungsprojekts in Bulgarien und Rumänien fraglich erscheinen. Das will und kann ich - mit Ihrer Hilfe und Einfluß in den Weltbank-Gremien - nicht zulassen. Noch tun sich die großen Institutionen schwer mit dem Gedanken, daß ihr Handeln beobachtet wird. Sie müssen gedrängt werden, genaue, prüfbare Zeitpläne für die einzelnen beschlossenen Projekte vorzulegen.

Meine Damen und Herren,

Ohne die Lösung der elementaren Sicherheitsfragen wird es keine dauerhafte Stabilisierung Südosteuropas, keine Integration in die europäischen und atlantischen Institutionen geben. Unsere gemeinsamen Anstrengungen müssen sich deshalb darauf konzentrieren, eine präventive und durch Kooperation geprägte Sicherheitskultur aufzubauen. Die Konflikte der Vergangenheit müssen uns Mahnung und Motivation sein.

Ich bin NATO und EAPR dankbar für ihre starken Beiträge zur sicherheitspolitischen Stabilisierung der Region. Jedes erfolgreiche Projekt, jede abgeschlossene Vereinbarung Im Rahmen des Stabilitätspakts kann potentiell Beispielfunktion im EAPR-Raum auch außerhalb Südosteuropas entfalten. Eine nachhaltige Stabilisierung Südosteuropas wird auch auf die Nachbarregionen ausstrahlen.

Und vielleicht kann angesichts der großen Herausforderungen in Südosteuropa mein bereits erwähntes Motto ansteckend wirken: "If we make it there, we can make it anywhere." Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Einigung eines friedlichen und demokratischen Europas weiter voranzutreiben.